Schweigen ist Gold: Worte, die nie gesagt wurden

Schweigen ist Gold: Worte, die nie gesagt wurden © Kristina Flour/Unsplash
Wer hat das nicht schon einmal erlebt? Im Gespräch mit einem lieben Menschen rutscht uns eine unbedachte Äußerung aus und verletzt unseren Gesprächspartner.

Worte, die nie ausgesprochen wurden, sind vielleicht die wichtigsten Worte!

Von Becky Sweat

Doris hatte mich mindestens zweimal durch jeden Laden des Einkaufszentrums geschleift. Ich war müde und wollte schon lange nach Hause gehen. Als sie mir dann das neue Kostüm zeigte, das sie sich ausgesucht hatte, entschied ich mich, ihr genau zu sagen, was ich davon hielt.

„Du versuchst ja nur, die Aufmerksamkeit des neuen Arbeitskollegen auf dich zu ziehen“, sagte ich ihr. „Aber das wird nicht funktionieren. Ihm gefallen nur schlanke Frauen. Du wirst bei ihm keine Chance haben, es sei denn, du nimmst mindestens 20 Pfund ab.“

Doris’ Augen füllten sich mit Tränen. Ich wollte sie in den Arm nehmen und meine Worte zurücknehmen. Obwohl etwas an meiner kleinen Rede wahr gewesen sein mag, hatte ich kein Recht, so etwas zu sagen, weil es gemein war.

Die meisten von uns haben einmal Dinge gesagt, die wir am liebsten wieder zurückgenommen hätten. Unzählige Situationen könnten verbessert werden, nicht so sehr mit dem, was wir sagen, sondern mit dem, was wir nicht sagen.

Fragen zum Nachdenken

Hier sind fünf Fragen, die Sie sich selbst stellen sollten, bevor Sie Ihren Mund zum Sprechen öffnen:

• Wem helfe ich?

Zu oft lassen wir uns von unseren Emotionen beherrschen und sprechen aus Ärger oder Frustration. Als meine Freundin Connie sich plötzlich nach Jahren einer engen Freundschaft von mir distanzierte, versuchte ich sie zum Sprechen zu bringen.

Nach einigen fehlgeschlagenen Versuchen, sie dazu zu bringen, sich zu öffnen, frustrierte mich die Situation. Connie war nicht länger die fröhliche, lustige Freundin, wie ich sie wollte. Ich entschied mich, einen Brief zu schreiben und ihr zu sagen, wie enttäuscht ich von ihr war. Ich weiß nicht warum, aber ich legte den Brief zur Seite, ohne ihn abzuschicken.

Nur wenige Tage später rief mich Connie an.

„Ich habe mich gefragt, ob du mit mir heute zum Mittagessen ausgehen möchtest?“, sagte sie. „Ich hatte in letzter Zeit sehr viel Streß bei der Arbeit, aber ich glaube, daß es allmählich wieder besser wird.“

Connie hatte gerade in dieser Zeit geduldige Freunde gebraucht. Wenn ich ihr den Brief geschickt und ihr damit mitgeteilt hätte, wie sehr ich mich über sie ärgerte, hätte es ihre schon genügend gestreßte Situation nur noch mehr belastet und vielleicht unserer Freundschaft ernsthaft geschadet.

Geduldig zu warten ist eine Strategie, die wir bei unserem Verhalten anderen gegenüber zu oft übersehen.

Leider platzen wir dann einfach mit Dingen heraus, zwingen einem Freund wahre, aber unfreundliche Worte auf, um unserem eigenen Frust Luft zu machen. Obwohl wir für kurze Zeit eine gewisse Befriedigung verspüren mögen, ist das Ergebnis fast immer eine verletzte Freundschaft.

Fragen Sie sich, bevor Sie sprechen: Was versuche ich zu erreichen? Wenn Sie wirklich der Meinung sind, daß Ihre Worte eine andere Person aufbauen und ihr helfen, ist es wahrscheinlich eine gute Idee zu sprechen. Wenn nicht, behalten Sie Ihre Worte lieber für sich.

Der Drang, mit Meinungen herauszuplatzen

• Wurde ich nach meiner Meinung gefragt?

Einige Leute haben das Verlangen, mit dogmatischen Meinungen über alles und jeden herauszuplatzen, auch wenn keiner nach ihrer Meinung gefragt hat und selbst wenn es sich um nebensächliche Alltagsangelegenheiten handelt.

Es ist gut, sich daran zu erinnern, daß eine Meinung nur eine Meinung und nicht unbedingt eine Tatsache ist. Ihre Meinung steht wahrscheinlich in keiner Enzyklopädie. Es wäre nicht das Ende der Welt, wenn andere Ihre Meinung über ein bestimmtes Thema nicht zu hören bekämen. Wenn Ihre Meinung nicht im Einklang mit den Meinungen der anderen Gesprächsteilnehmer steht, können Ihre Ideen einen Streit verursachen.

Manchmal ist es in Ordnung, eine gegensätzliche Meinung oder einen ungebetenen Rat mitzuteilen, doch warum wird es nicht als eine Meinung anstatt als dogmatische Aussage angeboten? Sich in zwischenmenschlichen Beziehungen die Zeit zu nehmen, freundlich und vorsichtig zu sein, kann Mauern niederreißen. Bieten Sie eine andere Perspektive oder eine andere Sichtweise an, die helfen könnte, das Bild abzurunden.

Schaut mal, wer da spricht

• Ist es meine Aufgabe zu sprechen?

Oft sprechen wir über ein Problem, wenn eigentlich jemand anderes das Sprechen übernehmen sollte. Ich hatte eine Freundin, die es nicht abwarten konnte, mir zu erzählen, was jemand anderes über mich gesagt hatte. Sie sagte Dinge wie:

„Marie sagt, du machst bei der Arbeit zu viele Witze.“

„Beate meint, daß du die falschen Kleider trägst.“

„Georg meint, daß du und dein Ehemann schlecht zusammenpaßt.“

Diese Beobachtungen bewirkten nur, daß ich mich ärgerte. Ich sollte nicht meinen Kleidergeschmack ändern müssen, um von jemandem anerkannt zu werden. Wenn es Marie wirklich ernst damit gewesen ist, daß ich zu viele Witze mache, warum konnte sie es mir nicht selbst sagen?

Ich habe es mir zur Regel gemacht, daß ich es nicht wiederhole, wenn jemand sich bei mir über einen meiner Freunde beschwert. Wenn etwas daran, was die Person erzählt, wahr sein könnte, fordere ich sie auf, dies meinem Freund bzw. Freundin direkt zu erzählen. Wenn die Beschwerde nur eine andere Meinung oder eine falsche Einschätzung ist, braucht mein Freund bzw. meine Freundin es nicht von mir zu hören.

Aber was ist, wenn es jemandem zum Besten dient?

• Spreche ich die Wahrheit in Liebe?

Sie meinen vielleicht, daß eine andere Person hören muß, was Sie zu sagen haben. Die Person jedoch mit Kritik zu überschütten wird Ihre Botschaft nicht auf offene Ohren stoßen lassen.

Eheprobleme entstehen, wenn Partner meinen, sich alles sagen zu können, wonach ihnen der Sinn steht, ohne auf den anderen Rücksicht nehmen zu müssen. Die Idee, daß man irgendwie das Recht hat, alles zu sagen, was man will, nur weil eine andere Person einem sehr vertraut ist, ist ein fataler Trugschluß.

Vertrautheit hebt die notwendige Höflichkeit nicht auf. Wenn überhaupt ist Freundlichkeit in einer Beziehung, in der Vertrautheit jede Person noch verletzlicher gemacht hat, nur um so wichtiger.

Versuchen Sie, Ihre Gedanken so vorzubringen, daß sie so wenig verletzend wie möglich auf Ihren Gesprächspartner wirken. Wenn Sie auf die Gefühle anderer keine Rücksicht nehmen, werden Ihre Kommentare wie eine persönliche Beleidigung aufgefaßt werden. Kritik muß mit echter Anteilnahme verbunden werden, um wirksam zu sein. Wir müssen lernen, die Wahrheit mit Liebe zu sagen.

Mund auf, Korken rein

• Ist die andere Person bereit, meine Meinung anzuhören?

Ihr Freund ärgert sich vielleicht über ein Problem. Ihr erster Impuls dabei ist vielleicht, Ihren Mund zu öffnen und ihm zu sagen, was Sie an seiner Stelle in einer solchen Situation tun würden.

Das Beste, was Sie oft für einen verletzten Freund tun können, ist vielleicht zu schweigen und zuzuhören. Jemand, der zuhört, ist in vielen Fällen alles, was wir brauchen, wenn wir Probleme haben. Wir müssen unsere eigenen Lösungen finden, indem wir uns aussprechen.

Wenn wir als Zuhörer anderen unsere Lösungen aufzuzwingen versuchen, verlieren wir sie in dem Prozeß. Unsere Gesprächspartner gewinnen den Eindruck, daß wir an ihnen nicht wirklich interessiert sind, sondern nur unsere Meinung loswerden wollen.

Wählen Sie Ihren Zeitpunkt bewußt. Drei Stunden nach dem Autounfall Ihres Ehemannes ist kein guter Zeitpunkt, ihm über seine schlechten Angewohnheiten beim Autofahren aufzuklären. Der Tag, an dem Ihre Freundin Ihnen erzählt, daß sie sich scheiden läßt, ist nicht der Zeitpunkt, ihr Ihre Meinung darüber zu erzählen, was man für eine erfolgreiche Ehe braucht.

Geben Sie Ihrem Freund oder Ihrer Freundin Zeit zu trauern und sich von dem Schmerz zu erholen. Schweigen Sie lieber und überlassen Sie das Reden der anderen Person. Nehmen Sie sich die Zeit, über die möglichen Auswirkungen Ihrer Worte nachzudenken, bevor Sie anfangen, Ratschläge zu erteilen.

Wenn ich mir diese fünf Fragen gestellt hätte, hätte ich an dem besagten Tag mit Doris nur schmerzende Füße erlitten. Statt dessen habe ich mich von meinen Emotionen überrollen lassen und unsere Freundschaft verletzt. Setzen Sie es sich zum Ziel, Ihre Worte zur Verbesserung einer Situation und Beziehung zu benutzen. Wenn Ihre Worte verletzen könnten, schweigen Sie lieber.

– Gute Nachrichten Juli-August 2001 PDF-Datei dieser Ausgabe

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