Tests: Wer braucht sie?

Tests: Wer braucht sie? © Shaun Venish
Ein Test kann über den weiteren Verlauf eines Lebens entscheiden. Der Druck, der auf den Schülern lastet, ist deshalb nicht selten sehr groß. Sind Schultests überhaupt sinnvoll?

Von Robert Berendt

Vor einigen Jahren unterrichtete ich an einem Gymnasium die Fächer Chemie, Mathematik und Physik. Es war mein größter Wunsch, meinen Schülern in diesen Fächern zum Erfolg zu verhelfen. Mir ging es aber nicht nur um gute Noten. Ich wußte aus eigener Erfahrung, daß Streß und Druck jeden Schüler auch nach der Schulzeit begleiten würden. Das Leben bringt uns oft bis an die Grenzen unserer Fähigkeiten. Als Lehrer wollte ich auch dazu beitragen, meine Schüler auf die Herausforderungen des Lebens vorzubereiten.

Wenn plötzlich eine Krise eintritt, bleibt keine Zeit mehr, den Charakter zu entwickeln, den man zu ihrer Bewältigung benötigt. Fähigkeiten, Wissen und Charakter werden über Jahre hinweg erworben und nicht in einem Augenblick.

Eine wichtige Maßnahme, den Entwicklungsstand der Schüler zu prüfen, ist, von Zeit zu Zeit ihre Fähigkeiten und ihr Wissen abzufragen. Tests zeigen dem Schüler und dem Lehrer, wo das Wissen noch ungenügend ist. Wenn die Ergebnisse gut sind, können sie das Selbstbewußtsein des Schülers stärken. Dem Lehrer wird aufgezeigt, wo er die Materie vielleicht nicht deutlich genug vermittelt hat.

Erfolg unter Druck

Prüfungen sind auch auf einem anderen Gebiet wichtig. Die Schüler lernen, Druck auszuhalten. In meinem Chemieunterricht mußten meine Schüler ein Abschlußexamen ablegen, das vom Schulministerium ausgearbeitet wurde. Diese Arbeit machte einen Großteil der Abiturnote aus und hatte so Einfluß auf die Karrierepläne. Die meisten meiner Schüler wurden deshalb zur Prüfungszeit sehr nervös.

Sabrina war eine gute Schülerin – nicht brillant, aber sie erhielt meistens gute Noten. Sie wollte nach dem Abitur studieren. Vor Prüfungen hatte sie jedoch große Angst. Sie war immer sehr gut vorbereitet, und ich wußte, daß sie es schaffen konnte. Wegen ihrer Nervosität und Angst büffelte sie vor einem Examen die Nächte durch. Auch am letzten Abend vor dem Abschlußexamen hatte sie vor, die ganze Nacht aufzubleiben und zu lernen.

Als Sabrinas Freundin mir von dieser Absicht erzählte, bemerkte ich, wie müde Sabrina aussah. Ich rief sie an und riet ihr, nicht mehr zu lernen, sondern richtig gut zu schlafen. Ich wußte, daß ein müder Verstand sich unter Druck nicht bewährt, und sie würde wahrscheinlich in der Prüfung schlechter und nicht besser abschneiden. Sabrina nahm meinen Rat an und bestand am nächsten Tag die Prüfung mit der Note eins. Die Ängste und der Druck hatten ihr Selbstbewußtsein zuvor abgebaut. Nach diesem Abschluß aber ging sie auf die Universität und führte anschließend ein erfolgreiches Leben.

Ein anderer Schüler, Daniel, war ein durchschnittlicher Schüler, jedoch mit schlechten Lerngewohnheiten. Auch er spürte den enormen Druck des kommenden Chemieexamens. Er lernte dafür, aber nicht genug.

Als ich am Morgen der Prüfung die Anwesenheitsliste durchging, bemerkte ich Daniels Abwesenheit. Auf meine Nachfrage hin gestand sein Freund, daß Daniel zu Hause geblieben war, weil er Angst vor der Prüfung hatte. Als ich Daniel zu Hause anrief, ging er ans Telefon. Er war wohlauf, aber der Prüfungsdruck wäre zu groß für ihn gewesen, sagte er.

Ich forderte ihn auf, sofort zur Prüfung zu kommen, auch wenn er später anfangen würde. Er tat es und bestand das Abschlußexamen. Viele Jahre später dankte Daniel mir bei einem Klassentreffen für diesen Telefonanruf. Nach dem Abitur hatte er eine gute Arbeitsstelle in der Ölindustrie bekommen, und dafür war die Chemieprüfung erforderlich gewesen.

Es gibt viele Geschichten wie die von Sabrina und Daniel. Es gab auch Schüler, die zuversichtlich zur Prüfung gingen und mit dem Druck gut umgehen konnten. All diese Erfahrungen sind Meilensteine in unserem Leben.

Eine weitere Reaktion auf Prüfungsdruck

Traurigerweise lernen einige Schüler ihre Lektion nicht und reagieren gegenüber Prüfungsdruck auf eine Weise, die einem guten Charakter nicht dienlich ist. Viele von ihnen stolpern durch das Leben, bis sie doch die Lektionen lernen, die sie schon viel früher hätten lernen sollen. Es kann aber auch sein, daß sie ihr ganzes Leben lang versuchen, Verantwortung und einem gewissen Druck aus dem Weg zu gehen. Roxanne, eine der besten Studentinnen ihres Jahrgangs und Studentensprecherin auf der Oxford Universität von England, war intelligent und hatte eine wunderbare Zukunft vor sich. Sie lebte ein beschäftigtes und fröhliches Leben auf dem Campus.

Doch auch für sie war der Prüfungsdruck sehr groß. Als wieder einmal eine Prüfung bevorstand, klagte sie über Schmerzen in der rechten Hand. Man erlaubte ihr, die schriftliche Arbeit in einem angrenzenden Raum auf einem Computer zu tippen.

Doch sie betrog. Roxanne lud sich einen Aufsatz, den sie bereits zu Hause geschrieben hatte, herunter und reichte diesen ein. Der Betrug kam ihr teuer zu stehen. Ihr Ruf war geschädigt, sie wurde von der Universität verwiesen, und auch ihre Zukunft erlitt großen Schaden. Außerdem hatte sie ihre Familie, ihre Freunde und vor allem sich selbst verletzt.

Druck gehört zum Leben

Einige Schüler versuchen, sich vor dem Lernen zu drücken, und manche Eltern unterstützen dies sogar. Unzureichende Vorbereitung und ungenügendes Lernen – eine schlechte Arbeitsmoral – ist die größte Ursache für die Angst vor Prüfungen.

Abschlußprüfungen bedeuten Druck. Und das ist auch sinnvoll. Aus Schülern werden Ärzte, Lehrer, Piloten, Feuerwehrmänner, Polizisten usw. Jeder von ihnen muß irgendwann einmal schwierige Entscheidungen treffen.

Wenn ein Arzt eine gefährliche Operation durchzuführen hat, kann er ihr nicht aus dem Weg gehen, indem er sagt, er ist noch nicht bereit dafür. Ein Feuerwehrmann kann sich nicht vor einem erneuten Einsatz drücken, weil er sich aufgrund des gestrigen Einsatzes gestreßt fühlt. Schüler müssen lernen, mit Streß und Druck umzugehen, weil sie ihr ganzes Leben unter Druck stehen werden.

Davonlaufen oder Betrügen sind nicht die richtigen Methoden, um die Lektionen für ein erfolgreiches Leben zu lernen. Eine gute Vorbereitung und eine willige Einstellung sind der bessere Weg. Prüfungen helfen uns, Ereignisse in der richtigen Perspektive zu sehen, während wir den Prüfungsdruck in einer Atmosphäre bewältigen, in der Entscheidungen zu Erfolg oder Versagen führen können.

Schritte zum Erfolg

Harte Arbeit, zielgerichtetes Lernen und gute Lebens- und Arbeitsgewohnheiten sind die Voraussetzung, um als Schüler, Student und später als Erwachsener erfolgreich zu sein. Schüler beschweren sich häufig über Hausarbeiten, doch sind ihre Lerngewohnheiten oft sehr ungenügend.

Eltern, Lehrer und andere Erwachsene müssen darauf achten, jungen Leuten zu helfen. Die Angewohnheiten und mentalen Einstellungen, die sie in jungen Jahren entwickeln, werden ihnen ihr ganzes Leben lang helfen oder schaden. Erwachsene sollten den jungen Leuten zu Disziplin, Selbstkontrolle und Selbstbewußtsein verhelfen. Selbstbewußtsein gründet sich auf eine solide Arbeitsmoral.

Tests sind notwendig, um den Lernerfolg zu kontrollieren und Schwächen des eigenen Wissens aufzuzeigen. Man braucht sich nicht vor Prüfungen zu fürchten, sondern sollte sie zum eigenen Nutzen gebrauchen.

Wenn wir über den Wert von Prüfungen nachdenken, sollten wir nicht vergessen, daß Gott der größte Lehrmeister überhaupt ist. Er kennt den Wert von Prüfungen sehr genau.

Er weiß, daß unser Leben voller Herausforderungen sein wird, und daß wir großem Druck ausgesetzt sind. Er weiß, daß wir einen Charakter entwickeln müssen, der dem Druck des Lebens standhalten kann. Er möchte, daß wir bereit sind, wenn diese Prüfungen kommen.

Wir werden in unserem Leben zwangsläufig Fehler machen. Es ist wichtig, daß wir aus ihnen lernen und sie nicht wiederholen. Druck ist ein unvermeidbarer Teil des Lebens. Tests und Prüfungen sind wichtige Werkzeuge, die uns helfen können, auf den Druck des Lebens vorbereitet zu sein. Mit jedem neuen Schuljahr oder Semester gibt es eine neue Chance, den Verstand zu entwickeln und die Fähigkeiten anzuwenden, die man schon gelernt hat.

Die Jahre des Lernens sollten schöne, nutzbringende Jahre sein. Der einfache Weg, den viele wählen, sich irgendwie durchzumogeln, ist nicht der, den man einschlagen sollte. Der Schöpfer aller Menschen sagt uns, daß der schwierigere Weg der bessere sein kann (Matthäus 7,13-14).

– Gute Nachrichten Januar-Februar 2003 PDF-Datei dieser Ausgabe

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