Tödliche Seuchen: wieder eine Bedrohung für uns?

Tödliche Seuchen: wieder eine Bedrohung für uns? © Arek Socha/Pixabay
Für viele Menschen in der westichen Welt scheint die Gefahr neuzeitlicher Seuchen durch die Fortschritte der Medizin weitgehend gebannt zu sein. Sind wir heute wirklich sicher gegen Seuchen?

Von Jerold Aust

In der frostigen Morgendämmerung eines wolkenfreien Samstags am 8. Februar 1975 durchstreiften der elfjährige Danny Gallant und sein Freund Dale das Vorland des Sandiagebirges östlich von Albuquerque, im US-Bundesstaat New Mexico. Ein kalter Wind blies den Kindern ins Gesicht, doch bald wurde er durch die Wärme der aufgehenden Sonne gemildert. Ein bestimmtes Ziel verfolgten die Jungen nicht. Sie waren einfach auf Entdeckungen aus, und gegen Überraschungen waren sie mit ihren Fahrtenmessern gewappnet. An diesem Wintermorgen sollten sie in der Tat auf eine Überraschung stoßen.

Dale sah ihn zuerst. Halb mit Steinen zugedeckt lag vor ihnen der erstarrte Körper eines Kojoten. Begeistert stürzten sich die Entdecker auf den Kadaver und zogen ihm das Fell ab. Voller Stolz kamen sie damit wieder nach Hause und ernteten die Bewunderung ihrer Familien. Vielleicht, weil Dannys Mutter bei der Wiederkehr der Jungen nicht zu Hause war, durften sie das Fell dort aufbewahren.

Bis Dienstag ließ die Begeisterung für die Wildnis nach, denn dann begann für Danny ein unangenehmes Nachspiel. Zunächst klagte er über Kopfschmerzen und Schwäche. Am Mittwoch blieb er von der Schule zu Hause, von Schüttelfrost und Schmerzen in der rechten Schulter geplagt. Am Donnerstag um fünf Uhr morgens weckte er seine Mutter und zeigte ihr eine eigroße Schwellung in seiner rechten Achselhöhle, die ihm furchtbare Schmerzen bereitete. Seine Eltern brachten ihn in eine Klinik, wo die Art seiner Erkrankung erst nach einigen Tagen feststand: Danny Gallant war an der Beulenpest erkrankt!

Er war der erste Mensch, bei dem in der damaligen Infektionswelle Pest diagnostiziert wurde. Die Seuche des Jahres 1975 stellte sich später als die schlimmste Wiederholung der Pest seit einem halben Jahrhundert heraus. Viele wildlebende Tiere erlagen dem Bazillus, und jeder Kadaver war eine potentielle Gefahrenquelle für Haustiere und Menschen.

Die Pest: noch nicht gebannt

Die meisten Menschen halten einen erneuten Ausbruch der Pest für ziemlich ausgeschlossen. Doch darin irren sie sich gewaltig. Ein Jahrzehnt nach Dannys tödlicher Begegnung mit dieser Krankheit waren infizierte Tiere überall in einem Gebiet zu finden, das über vierzig Prozent der Landfläche der kontinentalen Vereinigten Staaten ausmachte.

Im Mittelalter galt der Schwarze Tod als Gottesgeißel. Der heutigen Welt mit ihrer Hochtechnologie ist eine solche Vorstellung derart fremd, daß mit einem neuen Ausbruch der Seuche kaum gerechnet wird.

Wenn eine Gesellschaft lange von einer Seuche verschont wird, kann es zu einem trügerischen Sicherheitsgefühl kommen. Je nachdem, wo man gerade wohnt, kann eine Infektion aber so nah sein wie Flöhe auf dem Rücken einer Ratte.

Menschen erkranken an Pest, wenn sie in den Floh-Ratte-Kreislauf geraten. Das passiert zum Beispiel, wenn sie jagen und Tiere fangen, die von pesttragenden Flöhen angesteckt wurden, oder wenn infizierte Flöhe Nagetiere befallen, die in der Nähe von Menschen leben. Besonders die schwarze Hausratte (Rattus rattus) ist gegen den Pesterreger empfindlich, doch auch andere kleine Nagetiere – zum Beispiel Feld- und Wüstenmäuse, Eichhörnchen, Murmeltiere, Meerschweinchen, Hamster und Präriehunde – können zu Trägern werden.

Wenn ein infizierter Floh einen Menschen beißt, überträgt er den todbringenden Pestbazillus in den Körper seines Wirts, während er dessen Blut saugt. Der gefährlichste Pestüberträger ist der Rattenfloh Xenopsylla cheopis, der als Hauptverantwortlicher für die Pestepidemien der Menschheitsgeschichte gilt.

Wie wahrscheinlich sind künftige Ausbrüche einer Pest? Manche Wissenschaftler sehen eine unmittelbare Bedrohung durch noch unbekannte Seuchen, die eine Krankheit wie AIDS in den Schatten stellen könnten. In der Presse stößt man außerdem gelegentlich auf Berichte, in denen erklärt wird, warum Infektionskrankheiten wieder die Oberhand über den Menschen gewinnen können.

Wir sind nicht nur von bekannten Todbringern wie der Beulenpest, sondern auch von noch unbekannten mikrobialen Katastrophen bedroht. In modernen Gesellschaften, in denen reichlich Nahrung vorhanden ist und keine Kriege mehr wüten, wird der Wohlstandsbürger nur selten durch Seuchenmeldungen wachgerüttelt. Doch in der Seuchenwissenschaft erheben sich Stimmen, denen zufolge wir die Voraussetzungen für die nächsten Epidemien schon geschaffen haben. Wenn die fortschrittlichsten Methoden versagen, wie wollen wir mit weltweit wütenden Seuchen fertig werden?

Die Pest in der Geschichte

Die geschichtliche Überlieferung der letzten 1500 Jahre weiß von drei Pandemien (Seuchen globalen Ausmaßes) zu berichten. Die erste wütete 200, die zweite 400 und die dritte über 100 Jahre lang.

Die erste, die sogenannte Justinianische Pest, begann im fünfzehnten Jahr der Herrschaft des Kaisers Justinian I. (ca. um 542 n. Chr.). Sie soll ihren Anfang in der ägyptischen Hafenstadt Pelusium genommen haben, von wo aus sie vermutlich auf Getreideschiffen nach Byzanz (dem heutigen Istanbul) gebracht wurde.

Vom tödlichen Vormarsch der Krankheit berichtet der byzantinische Historiker Prokop: „Von [Ägypten] breitete sie sich über die ganze Welt aus, bei jeder günstigen Gelegenheit vorwärtsstrebend. Sie schien sich nach einem systematischen Plan zu bewegen, als sei ihr in jedem Land ein bestimmter Aufenthalt vorgegeben.

Mit ihrer schädlichen Wirkung geizte sie nicht. Vielmehr grassierte sie in alle Richtungen, als triebe sie die Sorge um, es könne ihr irgendwo in der weiten Welt ein winziger Winkel entgehen. Keine Insel, keine Höhle und auch kein Berg konnte sich ihrem tödlichen Griff entziehen“ („Procopius“, übersetzt von H. B. Dewing, Harvard University Press, Cambridge, Massachusetts, Band 1, Buch II, Vorwort, Seite 22-23).

In seinem Klassiker Verfall und Untergang des römischen Reiches (1776-88) schreibt der Historiker Edward Gibbon: „Ich kann lediglich feststellen, daß innerhalb von drei Monaten die tägliche Zahl der Todesopfer in Konstantinopel (Istanbul) von fünf- auf zehntausend gestiegen ist“ (Henry T. Coates & Co., Philadelphia, 1845, Band 3, Seite 641).

Eine während der Herrschaft Justinians geschriebene Chronik berichtet, daß die Epidemie „ganze Städte entvölkerte, die ländlichen Gebiete in eine Wüste verwandelte und die Wohnorte des Menschen den wilden Tieren übergab“ (ebenda). Ein Großteil des Abendlandes wurde 50 Jahre lang von dieser Seuche heimgesucht.

Erst nach Ablauf von weiteren 100 Jahren gab die Seuche Ruhe. 600 Jahre später tauchte sie aber erneut auf. Das ist typisch für die Pest. Sie „bricht mit weltumspannender Wucht aus, geißelt die Menschheit einige Jahre oder gar Jahrhunderte lang, und erlischt dann genauso überraschend, wie sie auftrat“ (ebenda). Sie geht weitgehend vernichtend durch die Bevölkerung, und wenn sie niemanden mehr infizieren kann, wird sie wieder still.

Die Verheerung Europas

Im vierzehnten Jahrhundert trat die Pest wieder im Osten und Westen auf. Die damalige Verbreitung der Epidemie ist auch die bekannteste der Geschichte. Sie begann anscheinend in China, und zog von dort aus immer weiter nach Westen. Im Oktober 1347 erreichte die Seuche mit den Hafenstädten Siziliens und dem italienischen Festland Europa. Sie wurde von Stadt zu Stadt getragen und erreichte bis Juni Paris, dessen Bewohner monatelang in Angst und Schrecken lebten.

König Philipp VI. forderte seine besten Ärzte auf, die Ursache der Krankheit festzustellen. Das Ergebnis ihrer Nachforschungen: Grund der Seuche sei die Tatsache, daß die Planeten Saturn, Mars und Jupiter alle auf einer Linie lagen! Ihre Vorschläge zum Schutz vor Ansteckung? Man müsse Geflügel, fetthaltiges Fleisch und Olivenöl essen und vor der Morgendämmerung aufstehen. Bäder seien gefährlich und Geschlechtsverkehr tödlich (Charles T. Gregg, Plague: An Ancient Disease in the Twentieth Century, University of New Mexico Press, Albuquerque, 1985, Seite 12).

Trotz entsprechender Vorsichtsmaßnahmen ging das Massensterben in Paris unentwegt weiter. Im Laufe der folgenden Jahrzehnte schlich sich der Schwarze Tod in das Rhein- und Moseltal hinein und erreichte etwas später sogar noch Dänemark, Norwegen, Schweden und England, wo er sich einige hundert Jahre hielt.

Der ansonsten schöne englische Sommer des Jahres 1665 stand im Zeichen der Krankheit. Die begüterten Einwohner Londons flohen sofort aufs Land. Zu den Flüchtlingen gehörte der Direktor des Ärztekollegiums (College of Physicians), seinem Beispiel folgte bis Ende Juni der gesamte Lehrkörper. Die Vereinigung der führenden Naturwissenschaftler, die Royal Society, setzte sämtliche Zusammenkünfte aus, und auch in den Kneipen herrschte Totenstille.

Es gab aber auch Ärzte, die sich verpflichtet fühlten, in der Stadt zu bleiben und den Kranken zu helfen. Einer von ihnen, Nathaniel Hodges, beschreibt den hoffnungslosen Kampf gegen die Seuche: „Viele Patienten starben gerade dann, wenn wir meinten, sie seien mit Sicherheit auf dem Wege der Genesung. Wähnten wir uns des Sieges sicher, entriß sie der Tod unseren hoffnungsvollen Händen. Andere aber, die wir bereits aufgegeben hatten, wurden ohne unser Zutun gesund, sehr zum Schaden unseres Rufes“ (Gregg, Seite 14).

Es starben an die 100 000 Einwohner Londons. Heute legen alte Friedhöfe der Stadt stummes Zeugnis von dieser tragischen Epoche ab.

Im folgenden Jahrhundert erlebten die Menschen in Malta, Marseilles, Moskau und Wien Ausbrüche der Pest. Nach und nach zog sich die Seuche in ihr Ursprungsgebiet, in den Osten, zurück.

Inzwischen waren vierhundert Jahre vergangen. In dieser Zeit hatte die Seuche ein Drittel der Bevölkerung Europas dahingerafft. Im Laufe dieser vier Jahrhunderte trat der Schwarze Tod sporadisch in 17- bis 25jährigen Zyklen auf, wobei hauptsächlich die größeren Städte betroffen waren, weil es dort viele Ratten gab. Im Jahre 1720 schlug die Pest vorläufig ein letztes Mal in Europa zu, und zwar in der französischen Hafenstadt Marseille. Doch die anschließende Ruhe war trügerisch.

Die dritte Pandemie

Die Europäer wogen sich nach langer Zeit wieder in Sicherheit. Im Bericht eines Ausschusses des britischen Unterhauses, der im Juni 1819 veröffentlicht wurde, steht zu lesen: „Die Pest läßt sich nur durch Körperkontakt übertragen ... Indizien deuten darauf hin, daß Ausdehnung und Schwere der Seuche sehr von atmosphärischen Einflüssen abhängen. Daß die Seuche unter den hier herrschenden klimatischen Bedingungen wieder Fuß fassen könnte, scheint dem Ausschuß schier unmöglich“ (Gregg, Seite 16, Hervorhebung von uns).

Der Ausschuß räumte zwar ein, daß die Seuche schon einmal hatte Fuß fassen können, hielt eine Wiederholung aber für ausgeschlossen.

Die dritte Ausbreitung, die Mitte des letzten Jahrhunderts einsetzte und erst 1959 wieder erlosch, ist den meisten Menschen heute seltsamerweise unbekannt. Sie brach, wie schon früher, in Asien und Afrika aus, erreichte aber diesmal eine dritte Region, aus der sie nicht mehr weichen sollte: die westlichen Vereinigten Staaten von Amerika.

Der Schwarze Tod suchte in dieser dritten Welle San Francisco, Seattle, Los Angeles, New Orleans, mehrere Hafen- und Küstenstädte in Texas und in der übrigen Welt heim. In den letzten Jahren wurden wiederholt Fälle aus Texas, Kalifornien, Massachusetts und Nebraska gemeldet. Mit einer Ausnahme stammten alle Ansteckungen aus New Mexico (Gregg, Seite 16).

Diese dritte Ausbreitung hielt sich über ein Jahrhundert lang. Während insgesamt 100 000 Bewohner Londons der zweiten Pestwelle erlagen, wurde diese Todesziffer in der dritten Welle bereits innerhalb weniger Wochen erreicht. Diese Epidemie forderte über dreizehn Millionen Opfer (Gregg, Seite 17). Elf Millionen davon entfielen auf Indien. Im Vietnamkrieg der sechziger und siebziger Jahre gingen über zehntausend Todesfälle auf das Konto der Pest. Hauptüberträger des Bazillus war die internationale Schiffahrt.

Schließlich gab die Seuche wieder Ruhe, doch die Anfälligkeit des Menschen für mikroskopische Mörder war erneut unter Beweis gestellt worden.

Wiederholt sich die Geschichte?

Ist es denkbar, daß der Schwarze Tod sein häßliches Haupt wieder reckt? Trotz aller technischen Fortschritte ist die Antwort leider „ja“. Dank Flugreisen kann der Bazillus fast jede Stadt der Erde innerhalb weniger Stunden erreichen und sich in der neuen Umgebung ausbreiten.

Gregg weist darauf hin, daß wir noch immer von der Pest bedroht sind: „Die Pest ist eine willfährige Begleiterin von Hungersnot und Krieg, und diese bedrohen uns vielleicht noch mehr als jemals zuvor. Der Pestbazillus selbst und die Wirte [das sind die Nagetiere], die ihn übertragen, zeigen zunehmende Resistenz gegen Antibiotika und Pestizide. Diese unsere wirksamsten Waffen drohen gerade in dem Augenblick zu zersplittern, in dem wir sie am dringendsten brauchen“ (Gregg, Seite 17).

Laurie Garrett, die 1996 mit dem Pulitzerpreis für einen Bericht über das Ebolavirus ausgezeichnet wurde, hat einen Bestseller über neue Infektionskrankheiten geschrieben. In diesem Buch, Die kommenden Plagen: Neue Krankheiten in einer gefährdeten Welt (S. Fischer Verlag, 1996), in dem sie unter anderem vom Auftreten der Legionärskrankheit und von AIDS, vom Muerto-Canyon-Bazillus und vom Choleraausbruch in Ruanda berichtet, nennt sie solche Seuchen eine umweltbedingte Strafe für unser modernes Verhalten, unsere mangelhafte Technik und die Vernichtung der Regenwälder. Denn wenn wir uns nicht selber schwächten, könnten solche Infektionskrankheiten uns nichts anhaben. Garretts Thesen verdienen unsere Aufmerksamkeit!

David Baltimore, Träger des Nobelpreises für Physiologie und Medizin, faßt Garretts Schlußfolgerungen zusammen: „Die Natur fordert die menschliche Zivilisation immer wieder mit Infektionskrankheiten heraus. Wie Erdbeben und Orkane zeigen uns die zyklusmäßig auftauchenden Seuchen, wie durchlässig die Grenze ist, die unsere High-Tech-Gesellschaft von persönlichen und kollektiven Katastrophen trennt.“

Die meisten Menschen gehen davon aus, daß die Medizin uns vor den Seuchen schützen wird, die in vergangenen Jahrhunderten über die Erde hinweggefegt sind. Garretts Buch ist ein Aufruf, aus unserem Schlummer aufzuwachen – zu erkennen, daß wir weitaus verletztlicher sind, als wir bisher gemeint haben. Von den furchtbaren Seuchenauslösern – Krieg und Hungersnot – wird jeden Tag in den Nachrichten berichtet. Wenn nicht gerade Krieg tobt, sorgen Erdbeben und Dürren für gleiche Ergebnisse. Auch Eingriffe des Menschen in die Natur können zu Seuchenwellen führen.

Eine hausgemachte Katastrophe

Am Beispiel des tödlichen Machupovirus weist Laurie Garrett nach, wie wir uns sogar durch hehre Vorsätze Katastrophen aufladen können. Die Geschichte begann 1962 im lateinamerikanischen Bolivien.

Zwei amerikanische Beamte, Karl Johnson und Ron MacKenzie, waren gebeten worden, eine Epidemie zu untersuchen, die im östlichen Teil Boliviens wütete. Die beiden Männer flogen in das abgelegene Seuchengebiet, wo sie mit den Leiden der Infizierten direkt konfrontiert wurden. Ihre ersten Patienten krümmten sich vor Schmerzen und erbrachen Blut.

Mit Hilfe von Forschern aus den USA bauten sie ein Feldlabor im Dorf San Joaquin auf. Erste Priorität war, festzustellen, ob es sich beim tödlichen Krankheitserreger um ein Bakterium, ein Virus oder einen Parasiten handelte.

Die Autopsie eines jugendlichen Opfers der Seuche ergab, daß die geheimnisvolle Krankheit das Werk eines Virus war. Dieses Virus verursachte intensive Blutungen im ganzen Organismus. Hocherfreut über ihre Entdeckung, ließen Johnson und MacKenzie die Sektkorken fliegen. Ihre Freude sollte aber nur von kurzer Dauer sein. Denn bald fühlten auch sie sich schlecht.

Zu ihrem Erschrecken hatte das Virus auch sie befallen. Glücklicherweise waren sie aber noch in der Lage, zu einem Krankenhaus in Panama zu gelangen, wo ein aus Washington eingeflogener Heeresarzt sich darum bemühte, ihr Leben zu retten. Obwohl der Kollege noch keine direkte Erfahrung mit ihrer Krankheit gemacht hatte, hatte er gegen ein ähnliches Leiden bereits gute Erfolge erzielt. Das war Seoul-Hantaan, ebenfalls eine hämorrhagische Virusinfektion, die amerikanische Soldaten im Koreakrieg heimgesucht hatte. Bei dieser nach dem koreanischen Fluß Hantaan benannten Erkrankung hatte es sich ergeben, daß die Genesungsaussichten durch genau dosierte Verabreichung von Mineralien und Flüssigkeit verbessert werden konnten.

Man hatte erkannt, daß hämorrhagische Erkrankungen dem Körper Flüssigkeit und Eiweißstoffe mit der Folge entziehen, daß lebenswichtige Organe irreparablen Schaden erleiden und die Immunabwehr geschwächt wird. Angesichts des Hantaanvirus führt die Immunschwäche zu Krämpfen und Kreislaufversagen.

Die Behandlung, die den Soldaten im Koreakrieg geholfen hatte, wirkte auch bei Johnson und MacKenzie. In der ungewissen Hoffnung, ihre Begegnung mit dem bolivianischen Virus habe sie immun gemacht, nahmen die beiden ihre Arbeit in dem Seuchengebiet wieder auf.

Bald hatten sie das Virus aus dem Blut, der Milz und dem Gehirn von fünf Mäusen isoliert. Sie nannten es, nach dem dortigen Fluß, „Machupo“.

Als Nächstes galt es, den Übertragungsweg zu klären. In mühevoller Kleinarbeit konnten die Forscher als Ursache den Urin von Mäusen identifizieren. Der Weg des Virus von Maus zu Mensch war ebenso einfach wie verblüffend.

Die Verbreitung des Machupovirus führte Johnson auf die bolivianische Revolution des Jahres 1952 zurück. Nach dem Umsturz hatten die Einwohner von San Joaquin plötzlich ohne Arbeit und verläßliche Nahrungsquellen dagestanden. Um zu überleben, hatten sie die Dschungelgebiete entlang des Machupoflusses gerodet, um Getreide anzubauen. Mit dem Getreide hatten sie den Dschungelmäusen weitaus üppigeres Futter gegeben, als der ehemalige Lebensraum der Nager es tat. Die Mäuse vermehrten sich rasant und strömten bald nach San Joaquin.

Als das hämorrhagische Fieber grassierte, machten sich die Mäuse über alle Getreidelager des Dorfes her. In ihrem Urin, mit dem sie das Getreide verunreinigten, lauerte das Machupovirus. Menschen, die das Getreide aßen, durch offene Schnittwunden mit ihm in Berührung kamen oder nur seine Ausdünstungen einatmeten, wurden Opfer des mikroskopischen Vernichters.

Wie hatte die Mäusebevölkerung in den Dörfern so stark wachsen können? Man stellte fest, daß es dort im betreffenden Zeitraum kaum Katzen gegeben hatte. Der Staat hatte nämlich versucht, mit einem flächendeckenden Einsatz von DDT die Malaria auszurotten, dabei aber leider auch Tausende von Katzen vergiftet. Von ihren natürlichen Feinden nicht mehr bedroht, hatten sich die Mäuse leicht vermehren können. Mit anderen Worten: Eine gutgemeinte Maßnahme hatte eine tödliche Seuche herbeigeführt. Fazit: Manchmal werden uns gerade unsere guten Vorsätze zum Verhängnis.

Auch in ihren Analysen über weitere Killerkrankheiten der letzten Jahre – wie z. B. Gelbfieber, Lassafieber, Ebolafieber, Schweinegrippe und der Legionärskrankheit – zeigt Garrett, daß häufig menschliches Versagen im Spiel war.

Wie zwei andere Autoren schreiben: „Selbst heute bleibt vieles über die Ursachen, die Ausbreitung und das Abflauen vieler Infektionskrankheiten im Dunkeln. Neue, starke Behandlungsmethoden verschlimmern die Lage manchmal sogar, indem sie zur Entwicklung resistenterer Mikroorganismen beitragen. Eine arglose Menschheit wird dann unversehens von mutierten Erregern heimgesucht und hat den Angreifern nichts entgegenzusetzen. Manchmal schaffen wir uns unsere Feinde selbst“ (Geoffrey Marks und William K. Beatty, Epidemics, Charles Scribner’s Sons, New York, 1976, Seite xi-xii).

Worte weiser Wissenschaftler

1989 kam eine erlauchte Gruppe amerikanischer Wissenschaftler zu einer dreitägigen Konferenz an der Universität Chicago zusammen, um über die zunehmende Bedrohung der Menschen durch unbesiegte Krankheitserreger zu beraten. Der Historiker William McNeill erklärte, warum es nach so vielen Jahrtausenden immer noch nicht gelungen sei, Seuchen ein für allemal zu bannen. Nach einer jahrelangen Beschäftigung mit dieser Frage ist er zu dem Schluß gekommen, Epidemien seien – ironischerweise – eine unerwünschte Nebenwirkung menschlichen Fortschritts: „Je mehr wir unsere Lebensbedingungen verbessern, desto anfälliger werden wir für Seuchen ... Je mehr wir Infektionskrankheiten aus dem Alltagsgeschehen verdrängen, desto größer wird die Gefahr von katastrophalen Epidemien. Wir werden die Grenzen unseres Ökosystems nie überwinden. Es mag uns nicht gefallen, aber wir sind und bleiben Teil der Nahrungskette – fressen und gefressen werden“ (Garrett, Seite 6).

Wie gefährlich sind die unsichtbaren Killer, die uns bedrohen? „Die gegenwärtig herrschende Meinung läuft darauf hinaus, daß uns eine weltweite Seuche, wie sie im Spielfilm Andromeda – Tödlicher Staub aus dem All dargestellt wird, nicht bevorsteht. Vielleicht stimmt das auch, vielleicht haben wir Glück. Besorgnis müßte aber doch die Tatsache erregen, daß wir überhaupt nichts tun können, um die ständige Mutation von Viren, die zur Entstehung immer gefährlicherer Stämme führt, aufzuhalten. Deren Entwicklung und Überleben kann für uns Krankheit und Tod bedeuten. Vielleicht kommt keine weltumspannende Seuche, aber alles auf diese Karte setzen möchte ich nicht“ (Dr. med. C. J. Peters und Mark Olshaker, Virus Hunter: Thirty Years of Battling Hot Viruses Around the World, Anchor Books, Doubleday, New York, 1997, Seite 323).

Peters und Olshaker stellen auch die ernüchternde Frage: „Was ist, wenn ein todbringendes Virus, das allen unseren Waffen überlegen ist, mitten in eine Großstadt platzt?“ (ebenda, Seite 1). Eines steht fest: Je weiter die letzte große Seuche zurückliegt, desto näher rückt die nächste.

Wir täten gut daran, uns die mahnenden Worte dieser Autoren und Wissenschaftler zu Herzen zu nehmen. Auch in der Bibel wird davon gesprochen, daß vor Jesu Wiederkehr Seuchen zunehmen werden (Offenbarung 6,8).

Der Mensch an seinen Grenzen

Obwohl die Wissenschaft seit jeher versucht, das menschliche Leben zu verbessern, zu verlängern und fast unbesiegbar zu machen, müssen wir uns aber am Ende dieses Jahrhunderts eingestehen, daß der Mensch angesichts der ständig mutierenden Viren, gegen die der Kampf der Forschung aussichtslos zu sein scheint, sein Überleben nicht garantieren kann.

Ebenso bewies das Jahrhundertbeben Mitte August in der Türkei wieder einmal, wie verletzbar wir sind. Noch während die Menschen schliefen, zerstörte das Erdbeben auf einer Fläche von 400 km² in nur 45 Sekunden das Leben von vielen Tausenden von Menschen und hinterließ ganze Straßenzüge in Schutt und Asche. Angesichts der vielen verschütteten Toten, der sengenden Hitze, der späteren Regenfälle und der mangelnden Hilfsmaßnahmen breitete sich schnell die Angst vor eintretenden Seuchen aus. Der türkische Premierminister Bülent Ecevit bot ein Bild der Hilflosigkeit: „Viele Bürger brauchen Wasser, Toiletten, Essen, das habe ich mit eigenen Augen gesehen“, sagte er nach einer Besichtigungsfahrt, „aber das Problem können wir derzeit leider nicht lösen.“

Nicht nur gegenüber Naturgewalten ist der Mensch machtlos, auch seine eigene Natur vermag er nicht zu bändigen. Die Habgier des Menschen läßt ihn in unserem modernen Zeitalter die Umwelt durch den Einsatz von Pestiziden verändern, und damit schafft er eine „Ursache“, die, verkettet mit anderen Faktoren, eine Epidemie auslösen kann, wie in dem Beispiel von Bolivien beschrieben. Das Ausmaß des Erdbebens in der Türkei wurde durch die Habgier und Schlamperei der Bauunternehmer auf tragische Weise verstärkt.

Die Geschichte des Menschen liest sich wie eine Aufzählung von Kriegen. Seit urdenklichen Zeiten versucht der Mensch, über andere Macht auszuüben. Es sieht fast so aus, als wenn die Zukunft schon besiegelt sei. Der Weg des Menschen führe zum Untergang, träte keine grundlegende Änderung ein. Denn mit jedem Krieg wächst auch die Gefahr von Hungersnöten, mangelnden hygienischen Zuständen und der Ausbreitung von Seuchen.

Der Autor der Bibel, für den es keine Grenzen gibt, berichtet, daß Jesus Christus eingreifen wird, um den Untergang des Menschen zu verhindern: „Denn dann wird große Bedrängnis sein, wie sie von Anfang der Welt bis jetzt nicht gewesen ist und auch nie sein wird. Und wenn jene Tage nicht verkürzt würden, so würde kein Fleisch gerettet werden; aber um der Auserwählten willen werden jene Tage verkürzt werden“ (Matthäus 24,21-22; Elberfelder Bibel). Wir sind überzeugt, daß die Menschheit so nicht zu Grunde gehen wird und möchten Ihnen dazu unsere kostenlose Broschüre Das Geheimnis Ihrer Existenz anbieten.

Die tödlichen Boten der Seuche

Die Pest ist in der Regel eine Krankheit der wilden Tiere. Sie durchläuft einen Zyklus, in dem zuerst Flöhe angesteckt werden. Wenn ein Floh das Blut eines infizierten Tieres saugt, nimmt er den Bazillus auf, und beim Wechsel auf einen neuen Wirt gibt er den Todeskeim weiter. Als Wirte werden zwar Tiere bevorzugt, doch auch Menschen können diese Rolle übernehmen und angesteckt werden. Alle drei Akteure – Tiere, Flöhe und Menschen – können an der Pest sterben.

Wenn Menschen infiziert werden, kann das das Todesurteil für eine ganze Gemeinde sein. Es kommt auch oft vor, daß eine ganze Familie an der Krankheit stirbt, noch bevor sie diagnostiziert, geschweige denn behandelt werden kann. Meistens wütet die Krankheit unter Nagetieren, ohne daß die Menschen der Umgebung etwas davon bemerken.

In seltenen Fällen entstehen günstige Bedingungen für die Übertragung der Pest in Ballungsgebieten. Im Handumdrehen hat man es dann mit einer Epidemie zu tun. Hauptüberträger in solchen Fällen ist die Hausratte.

Obwohl es an wildlebenden Tieren ein schier unerschöpfliches Reservoir an Pestbazillen gibt, sind Nagetiere – erstaunlicherweise – selten betroffen. Darüber können wir froh sein, denn wenn Ratten, vor allem die gewöhnliche Hausratte, einmal infiziert sind, steht vielen Menschen ein qualvoller Tod bevor. In der Vergangenheit haben Ratten die Pest über weite Entfernungen getragen: von Zentralasien und Afrika nach Indien, Südostasien, Europa und am Anfang dieses Jahrhunderts nach Nord-, Mittel- und Südamerika.

Die Hauptüberträger der Pest auf den Menschen sind die Haus- und Wanderratten. Ihre Fähigkeit, den Lebensraum des Menschen auszunutzen, ist sprichwörtlich. Ratten nagen unaufhörlich. Wenn sie es nicht täten, würden ihre Zähne jeden Monat um einen Zentimeter wachsen. Unglaublich ist, welche Baustoffe sie durchbeißen können: Rohrleitungen aus Blei, Hohlblöcke aus Zement und Kohleschlacken, trocknenden Beton, Kunststoffe, Faserplatten, Asbest und Außenwandverkleidungen aus Aluminium.

Sie schlüpfen durch Löcher, in die gerade ein menschlicher Zeigefinger paßt. Bäume und Abflußrohre hinaufzuklettern ist für sie ein Kinderspiel, und über Telefonoberleitungen huschen sie mit Höchstgeschwindigkeit, wobei ihr langer Schwanz für das Gleichgewicht sorgt. Ratten vermehren sich rasch und können viel vernichten. Wenn ihr Überleben durch räumliche Enge, Raubtiere, Nahrungsmangel oder Krankheit bedroht ist, gehen Ratten auf Wanderschaft. In Südamerika haben die Wanderwege der Hausratte mit dem Reifen und Verfall einer dominanten Bambusart zu tun. Wenn ungewöhnlich große Mengen an Bambussamen reifen, steigt die Rattenbevölkerung rasant an. Ist das Bambusangebot aber gering, fallen die Ratten über die Getreidebestände des Menschen her.

Nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) leben weltweit mindestens vier Milliarden Ratten. Wir dürfen aber nicht die Maus aus dem Blickfeld verlieren. Ihre Anzahl wird noch höher veranschlagt als die der Ratten. Wie ein Professor für Umweltstudien es ausdrückte: „Mir machen die Mäuse mehr Sorgen als die Ratten. Man mag Ratten im Keller haben, aber die Mäuse nisten in den Haferflocken.“

Ja, die Pest gibt es noch, und ihre gefährlichsten Überträger sind die Ratten. In der Tat: „Wollen wir einer Katastrophe entgehen, brauchen wir eine gleichmäßige Mischung aus ewiger Wachsamkeit und fortwährendem Glück“ (Charles T. Gregg, Plague: An Ancient Disease in the Twentieth Century, University of New Mexico Press, Albuquerque, 1985, Seite 72).

Entstehen heute neue Plagen?

Die Gewässerbotanikerin JoAnn Burkholder präpariert täglich siebzig Fische als Opfer für ein gespenstisches Wesen in ihren Laboraquarien. Dem bloßen Auge erscheinen die Becken zwar leer, doch nach zehnminütigem Aufenthalt im Wasser sind alle Fische tot. Manche von ihnen sind mit derart häßlichen Wunden überzogen, daß der unsichtbare Killer „die Zelle aus der Hölle“ genannt wird.

Da das Gift des unsichtbaren Wesens auch Menschen gefährlich werden kann, trägt die Wissenschaftlerin einen Schutzanzug mit Gesichtsmaske. Der „Bösewicht“ ist ein einzelliger Mikroorganismus, ein sogenannter Dinoflagellat, der sich wechselweise als Pflanze oder Tier verhalten kann. Sein Name: Pfiesteria piscicida. Er fiel das erste Mal vor sieben Jahren in den Flußmündungen North Carolinas auf und wird für den Tod von über einer Milliarde Fische verantwortlich gemacht.

Vor sechs Jahren galt dieser Einzeller als merkwürdig und exotisch. Doch nach zahlreichen wissenschaftlichen Untersuchungen gilt er heute als genauso gefährlich wie die Mikroorganismen, die von Abwässern ins Meer geschwemmt werden und Fischfanggebiete in Neuengland und Texas vernichtet haben.

Nach Angaben von Wissenschaftlern „dürfte Pfiesteria ein weiteres Anzeichen dafür sein, daß der Mensch den Küstenraum auf eine Weise verändert hat, die für ihn selbst und für wildlebende Tiere schlimme Folgen haben kann ...“ (Joby Warrick, The Washington Post, 10. Juni 1997).

Durch Schädigung des Nervensystems löst die Höllenzelle beim Menschen ähnliche Symptome aus wie die Pest: offene Wunden, Übelkeit, Gedächtnislücken, Müdigkeit, Desorientierung und Kräfteverfall (Michael Satchell, U.S. News & World Report, 28. Juli 1997, Seite 27). Und nach Satchell ist sie auf dem Vormarsch.

Die Liste der neu entdeckten Killerviren, die in den letzten Jahren für Schlagzeilen sorgten – HIV, Ebola-, Lassa-, Hantavirus – können wir also um Pfiesteria erweitern!

– Gute Nachrichten September-Oktober 1999 PDF-Datei dieser Ausgabe

Gute Nachrichten
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