„Was ihr mir (nicht) getan habt“

Leute auf der Straße © Ryoji Iwata/Unsplash
Durch welche Linse sah Jesus seine Mitmenschen? Jesu Sichtweise war durch Erbarmen und Mitgefühl geprägt. Wie wichtig ist es, dass wir dieselbe Linse verwenden? Es ist überaus wichtig!

Wer in Jesu Fußstapfen treten will, muss seine Mitmenschen so sehen, wie Jesus sie gesehen hat. Wer das Potenzial erkennt, das Gott jedem Menschen gegeben hat, wird Jesus erfolgreich nachahmen können.

Von Robin Webber

Seit sechs Jahren befasst sich diese Rubrik mit unserer Reaktion auf die Aufforderung Jesu Christi „Folgt mir nach!“ (vgl. dazu Matthäus 4,19 und Johannes 21,19-22). Mit diesen drei Wörtern ermutigt der lebende Messias seine Jünger, Kurs zu halten und ihn in Gedanken, Worten und Taten nachzuahmen. Das gilt für unsere Beziehung zu Gott, aber auch zueinander.

Durch welche Linse sah Jesus seine Mitmenschen? Jesu Sichtweise war durch Erbarmen und Mitgefühl geprägt. Wie wichtig ist es, dass wir dieselbe Linse verwenden? Kurzum, es ist überaus wichtig! Denn in dem Maß, wie wir uns die Betrachtungsweise Jesu unserem Nächsten gegenüber aneignen, wird er unsere Jüngerschaft für echt befinden und wir von unserem himmlischen Vater entsprechend gesegnet werden.

Der aufrüttelnde Weckruf

In Matthäus 25 werden wir zum Schluss der Ausführungen Jesu auf dem Ölberg nur wenige Tage vor seinem Tod unmissverständlich auf die Bedeutung der richtigen Sichtweise hingewiesen. Jesu Botschaft über die Endzeit beginnt in Matthäus 24; dort beschreibt er die Zustände und die Ereignisse in dieser Zeit, die in seiner Wiederkunft gipfeln werden.

Im nächsten Kapitel beendet er seine Prophezeiung mit einer ernsthaften Ermahnung an seine Nachfolger. Dabei geht es um eine zukünftige Zeit des Gerichts, in der seine Jünger voneinander getrennt werden, als wären sie Ziegen und Schafe (Matthäus 25,31-33). Mit seinen Worten wollte er einige ermutigen, andere hingegen wachrütteln.

„Da wird dann der König sagen zu denen zu seiner Rechten: Kommt her, ihr Gesegneten meines Vaters, ererbt das Reich, das euch bereitet ist von Anbeginn der Welt! Denn ich bin hungrig gewesen und ihr habt mir zu essen gegeben. Ich bin durstig gewesen und ihr habt mir zu trinken gegeben. Ich bin ein Fremder gewesen und ihr habt mich aufgenommen. Ich bin nackt gewesen und ihr habt mich gekleidet. Ich bin krank gewesen und ihr habt mich besucht. Ich bin im Gefängnis gewesen und ihr seid zu mir gekommen“ (Matthäus 25,34-36).

Die Gerechten bzw. „Schafe“ wollen dann wissen, wann sie das alles getan haben (Verse 37-39). Und der König, Jesus, wird ihnen wie folgt antworten: „Wahrlich, ich sage euch: Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan“ (Vers 40).

Jesus fährt fort und weist diejenigen zu seiner Linken – die „Ziegen“ – wegen ihrer mangelnden Anteilnahme zurecht: „Wahrlich, ich sage euch: Was ihr nicht getan habt einem von diesen Geringsten, das habt ihr mir auch nicht getan“ (Vers 45; alle Hervorhebungen durch uns).

Dienstbereitschaft unter der Lupe

Nehmen wir diesen Abschnitt in Matthäus 25, Verse 31-46 noch näher unter die Lupe, um daraus einige erstaunliche Schlüsse zu ziehen. Als Erstes ist das hier Beschriebene für Christus etwas sehr Persönliches. Dreizehn Mal sagt er „mich“ oder „mir“ und versetzt sich damit in die Lage derjenigen, denen seine Jünger begegnen werden.

25-mal personalisiert er bewusst unsere Begegnung mit anderen mit dem Wort „ihr“. Wir werden für unseren Umgang mit unseren Mitmenschen zur Rechenschaft gezogen! Für die heute Berufenen ist es so, als wäre Christus bei diesen Interaktionen dabei, denn er nimmt sie zur Kenntnis. Er nennt „die Geringsten“ unter den Menschen, mit denen wir zu tun haben, seine „Brüder“.

Maßgebend für Jesu Urteil in den beiden gegensätzlichen Verhaltensweisen ist sein einleitender Spruch „Was ihr getan habt“ bzw. „Was ihr nicht getan habt“. Damit macht Jesus klar, dass unsere Anteilnahme für andere auch Anteilnahme für ihn ist – oder auch nicht!

An dieser Stelle mögen Sie denken: „Ich bin ein mitfühlender Mensch und versuche zu helfen, wenn ich sehe, dass jemand Hilfe braucht.“ Und das ist gut so! Ich möchte uns aber auf den Umfang der Worte Christi hinweisen. Es geht hier um mehr als unsere Hilfsbereitschaft, wenn wir sie für nötig halten. Wir sollen Zeugnis für Jesus Christus in einer dunklen Welt ablegen, die seit der Ablehnung der Lebensweise Gottes im Garten Eden ohne geistliche Orientierung lebt.

Unsere Welt ist infiziert von einer Säkularisation, die das Leben bedeutungslos werden lässt und sie von ihrem Schöpfer trennt. Mit der Ablehnung der Existenz Gottes haben die Menschen sich selbst in einem Gefängnis der Isolierung eingeschlossen, in Unkenntnis seiner Absicht, sie nach seinem Bild zu schaffen. Doch Gott lässt sich nicht von seinem Plan abbringen!

Der Mensch aus der Perspektive Gottes

Durch welche Linse sah Jesus die Menschen? Das erkennen wir gleich am Anfang der Bibel. Die ersten vier Wörter offenbaren die Grundlage der Beziehung Gottes zum gesamten Universum:: „Am Anfang schuf Gott . . .“ Alles Stoffliche hatte einen Anfang, und dieser war Gottes schöpferisches Wirken. Und Gott offenbarte sein Vorhaben mit der Krönung dieser Schöpfung, den Menschen: „Lasset uns Menschen machen, ein Bild, das uns gleich sei“ (1. Mose 1,26).

Das ist kein göttliches Wunschdenken! Es sollte Realität werden. Wir lesen gleich im nächsten Vers: „Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie als Mann und Frau“ (Vers 27).

Gottes Blaupause umfasst viel mehr als nur unser physisches Dasein. Sie beinhaltet auch eine Umwandlung von Fleisch und Blut in Geist, von sterblichem Ton zur Unsterblichkeit als neue Kreatur (2. Korinther 5,17). Wir sollen Gott auch charakterlich gleich werden. Jeder Mensch hat dieses Potenzial. Deshalb gilt es, jeden Menschen als potenzielles, ewig lebendes Kind Gottes zu respektieren!

Doch das erste Buch der Bibel zeigt uns, dass die Menschen dieses Potenzial ignorierten. Nicht sehr lange nach der Erschaffung von Adam und Eva schwand der Respekt vor menschlichem Leben, als Kain seinen Bruder Abel erschlug. Die Gewalt nahm ständig zu, bis die Gesellschaft vor der Sintflut „voller Frevel“ war und „alles Dichten und Trachten ihres Herzens nur böse war immerdar“ (1. Mose 6,5. 11).

Nach der Sintflut sollte der Mensch das Leben seiner Mitmenschen achten. Mord sollte nicht ungeahndet bleiben, denn Mord ist eine Missachtung des menschlichen Potenzials: „Auch will ich euer eigen Blut, das ist das Leben eines jeden unter euch, rächen und will es von allen Tieren fordern und will des Menschen Leben fordern von einem jeden Menschen. Wer Menschenblut vergießt, dessen Blut soll auch durch Menschen vergossen werden; denn Gott hat den Menschen zu seinem Bilde gemacht“ (1. Mose 9,5-6).

Jetzt mögen Sie denken: „Was hat das mit mir zu tun? Ich habe nie gemordet!“ Tatsache ist, dass man nach dem Geist des Gesetzes niemanden töten muss, um gegen das sechste Gebot zu verstoßen. Mit unseren Worten können wir anderen die Lust am Leben nehmen und sie zu „lebendigen Toten“ machen. Hiob flehte seine drei Freunde an: „Wie lange plagt ihr doch meine Seele und peinigt mich mit Worten!“ (Hiob 19,2).

In ähnlicher Weise ermahnt uns der Apostel Jakobus: „Die Zunge kann kein Mensch zähmen, das unruhige Übel, voll tödlichen Giftes. Mit ihr loben wir den Herrn und Vater, und mit ihr fluchen wir den Menschen, die nach dem Bilde Gottes gemacht sind“ (Jakobus 3,8-9).

Wir sind alle nach dem Bilde Gottes erschaffen. Jesus bestätigte, dass Mord mehr als die eigentliche Tat sein kann: „Wer mit seinem Bruder zürnt, der ist des Gerichts schuldig.“ Und wer seinen Bruder verachtet, wird eine noch härtere Strafe erhalten (Matthäus 5,21-22).

Der Apostel Johannes bringt es treffend auf den Punkt: „Wenn jemand spricht: Ich liebe Gott, und hasst seinen Bruder, der ist ein Lügner. Denn wer seinen Bruder nicht liebt, den er sieht, der kann nicht Gott lieben, den er nicht sieht“ (1. Johannes 4,20).

Christus sah die Menschen als Geschöpfe nach dem Bilde seines Vaters und nach seinem eigenen Bilde. Durch diese Linse müssen wir sie auch sehen. Gott liebt sie und wir sollen sie auch lieben. Tun wir das nicht, ist die Liebe unseres himmlischen Vaters nicht in uns.

Die richtige Perspektive finden und behalten

Wir erleben viele Gelegenheiten zur Respekterweisung gegenüber Gottes besonderer Schöpfung nach seinem Bilde. Es ist bekannt, dass körperliche Berührung, verbunden mit verbaler emotionaler Zuwendung, für die Gesundheit von Säuglingen überaus wichtig ist. Fehlt diese Zuwendung, wächst das Kind mit Defiziten heran.

Ist es bei Erwachsenen anders? Brauchen wir nie Unterstützung? Manchmal empfinden diejenigen, die uns eigentlich am nächsten sind – Ehepartner, Familienangehörige, Glaubensbrüder und -schwestern, Arbeitskollegen – keine Nähe, sondern Distanz. Wir vermitteln ihnen damit das Gefühl, „einer von diesen Geringsten“ zu sein.

Gibt es schwierige Menschen in unserem Umfeld? Ja, bestimmt! Und Beziehungen können pflegeintensiv sein. Daher soll der Ausgangspunkt für solche Beziehungen die Erkenntnis sein, dass alle Menschen nach dem Bilde Gottes geschaffen sind und das unglaubliche Potenzial des ewigen Lebens als Angehörige der Familie Gottes haben. Jesus Christus ist das Sühneopfer für alle Menschen, auch wenn die meisten das noch nicht wissen. Dass manche das nicht wissen oder verstehen, entbindet uns nicht von der Pflicht, sie aus der fürsorglichen Perspektive Jesu zu sehen. Im Gegenteil: Gerade deshalb sollen wir sie mit Erbarmen und Mitgefühl behandeln!

Warum tendiert die menschliche Natur so oft zur Vergesslichkeit? Haben wir vergessen, wie es uns erging, bevor wir uns zur Annahme der Aufforderung Jesu „Folgt mir nach!“ verpflichteten? Haben wir die Freude über den inneren Frieden vergessen, der uns zuteil wurde, als wir Gottes Angebot der Vergebung unserer Sünden annahmen? Wie zufrieden waren wir mit dem Leben, das wir davor führten? Nicht sonderlich, nicht wahr?

Als wir den Kontakt mit Gott suchten, gerieten wir nicht in eine Warteschleife. Wir wurden nicht ignoriert. Nein, Gott war für uns da – sofort. Gott nahm uns an und hängte uns ein Namenschild mit der Aufschrift „Kind Gottes“ um. Besser kann es uns nicht gehen, ein Teil der Familie Gottes zu sein!

Sind wir manchmal selbst ein schwieriger Mensch im Umfeld anderer? Ja, bestimmt. Dennoch liebt Gott uns und sorgt für uns. In derselben Weise, wie er sich um uns kümmert, sollen wir bereit sein, unseren Nächsten wie uns selbst zu lieben. Sehen wir unsere Mitmenschen durch dieselbe Linse, durch die unser Herr und Meister sie sieht!

– Gute Nachrichten Mai-Juni 2019 PDF-Datei dieser Ausgabe

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