Luther und Tyndale über den Tod: „Die Toten wissen nichts“

Martin Luther und William Tyndale © Wikimedia
Manche Protestanten wären überrascht zu erfahren, dass Schlüsselfiguren des Protestanismus gegen die unsterbliche Seele und die Vorstellung eines Bewusstseins im Tod geschrieben haben.

Viele glauben an die unsterbliche Seele, die nach dem Tod außerhalb des Körpers bei Bewusstsein sein soll. Doch Reformatoren wie Martin Luther und William Tyndale wussten, welche Lehren hierüber wirklich in der Bibel stehen. Sie wussten, dass die Toten kein Bewusstsein haben und auf eine zukünftige Auferstehung warten.

Von Tom Robinson

Die meisten Christen glauben, dass die Seele nach dem Tod eines Menschen bei Bewusstsein bleibt und mit Gott im Himmel weiterlebt oder eine Art ewige Qual in der Hölle erleidet. Allerdings ist diese Vorstellung in der Bibel überhaupt nicht zu finden. Sie offenbart uns hingegen, dass der Mensch eine sterbliche Seele ist, die sterben kann (Hesekiel 18,4. 20). Sterben bedeutet „den Schlaf des Todes zu schlafen“ (Psalm 13,4).

Die Bibel vergleicht den Tod wiederholt mit einem Schlaf und nicht mit einer bewussten Existenz – einem Schlaf, aus dem wir in einer zukünftigen Auferstehung erwachen müssen (siehe Daniel 12,2; Hiob 14,12-14; 1. Korinther 11,30; 15,51; 1. Thessalonicher 4,13-14). In der Heiligen Schrift heißt es ausdrücklich, dass „die Toten nichts wissen“ (Prediger 9,5; alle Hervorhebungen durch uns). Ferner wird versichert: „Denn im Totenreich, wohin auch du einmal gehen wirst, ist es vorbei mit allem Denken und Tun, dort gibt es weder Erkenntnis noch Weisheit“ (Vers 10; „Hoffnung für alle“-Übersetzung).

Manche erkennen an, dass die Auferstehungslehre mit der Bibel zu beweisen ist. Doch traditionell wird argumentiert, dass die unsterbliche Seele beim Tod in eine körperlose, aber bewusste Existenz übergeht und dass die Auferstehung die zukünftige Auferweckung eines neuen Körpers bedeutet, den die Seele wieder bewohnen kann. Dies betrifft den sogenannten Zwischenzustand der Toten – die Existenz zwischen dem Tod des Körpers und der zukünftigen Auferstehung.

Angesichts der biblischen Vergleiche des Todes mit dem Schlaf bezeichnen manche den Glauben an diesen Zwischenzustand der vollständigen Bewusstlosigkeit abschätzig als „Seelenschlaf“. Hierbei wird die Bibel jedoch einfach nur wörtlich genommen. Der Glaube an eine körperlose Seele im Jenseits geht keineswegs aus der Bibel hervor, sondern hat ihren Ursprung in heidnischer Religion und Philosophie.

Einige haben die Wahrheit zu diesem Thema schon vor Jahrhunderten erkannt. Viele der heutigen Protestanten wären zweifellos sehr überrascht zu erfahren, dass Schlüsselfiguren, die sie als Helden des Glaubens betrachten, gegen die Unsterblichkeit der Seele und gegen die Vorstellung eines Bewusstseins im Tod geschrieben haben. Es waren namentlich Martin Luther, der Vater der protestantischen Reformation und der deutschen Schriftsprache, und William Tyndale, der für sein monumentales Werk, die Bibel ins Englische zu übersetzen, den Märtyrertod erlitt. Diese Männer waren Lehrer des Seelenschlafs – ebenso wie die inspirierten Autoren der Heiligen Schrift wie der Apostel Paulus.

Martin Luther: „Die Toten schlafen in völliger Bewusstlosigkeit“

Im Jahr 1517 schlug Martin Luther seine berühmten 95 Thesen über die Irrtümer der römisch-katholischen Lehre an die Pforte der Schlosskirche in Wittenberg an. Bei der Verteidigung dieser Thesen drei Jahre später nannte er die Idee einer „unsterblichen Seele“ als eine von „all diesen endlosen Ungeheuerlichkeiten im römischen Misthaufen der Dekretalen“ (Assertion of All the Articles of M. Luther Condemned by the Latest Bull of Leo X, Artikel 27, Werke Luthers, Weimarer Ausgabe, Band 7). Luther lehnte die Vorstellung der römischen Kirche von der bewussten Qual der Seelen im Fegefeuer kategorisch ab.

Wenig später schrieb er: „Meiner Meinung nach ist es wahrscheinlich, dass die Toten, von wenigen Ausnahmen abgesehen, bis zum Tag des Gerichts in völliger Bewusstlosigkeit schlafen . . . . Mit welcher Autorität kann man behaupten, dass die Seelen der Toten nicht schlafen können …, so wie die Lebenden die Zeit zwischen ihrem nächtlichen Einschlafen und ihrem Aufstehen am Morgen in tiefem Schlummer verbringen?“ (Brief an Nikolaus von Amsdorf vom 13. Januar 1522, zitiert von Jules Michelet, The Life of Luther, 1862, Seite 133).

In Bezug auf das Zitat im Buch Prediger, das wir vorhin gelesen haben, meinte Luther Folgendes: „Salomo urteilt, dass die Toten schlafen und gar nichts fühlen. Denn die Toten liegen da und rechnen weder Tage noch Jahre, sondern wenn sie geweckt werden, scheint es, als hätten sie kaum eine Minute geschlafen“ (An Exposition of Salomon’s Book Called Ecclesiastes of the Preacher, 1553, folio 151v).

Luther betrachtete dies als eine Art komatöses Dasein, wie er an anderer Stelle feststellte: „So geht die Seele nach dem Tod in ihr Schlafgemach und in ihre Ruhe, und während sie schläft, merkt sie ihren Schlaf nicht, und Gott bewahrt die erwachende Seele. Gott ist in der Lage, Elia, Mose und andere zu erwecken, sodass sie leben werden. Aber wie kann das sein? Das wissen wir nicht; wir begnügen uns mit dem Beispiel des körperlichen Schlafes und mit dem, was Gott sagt: Es ist ein Schlaf, eine Ruhe und ein Friede“ (Auslegung des ersten Buches Mose, Weimarer Ausgabe, Band 1). Er versuchte zu erklären, dass unsere Existenz durch den Tod bis zur Auferstehung erhalten bleibt.

Auch wenn Luther in seinen Aussagen vielleicht nicht immer konsequent war, sollten wir anerkennen, dass er definitiv nicht die bewusste, körperlose Existenz einer unsterblichen Seele im Himmel oder in der Hölle unmittelbar nach dem Tod befürwortete, wie es die heutigen Lutheraner und andere Protestanten glauben.

William Tyndale antwortet auf Thomas More

Etwa zur gleichen Zeit verteidigte William Tyndale die Lehre vom Tod als Schlaf gegen die Anprangerung durch den englischen Philosophen und Staatsmann unter König Heinrich VIII., Sir Thomas More, der auch Utopia geschrieben hat.

Tyndale antwortete ihm im Jahr 1530 und behauptete: „Und indem du sie [die verstorbenen Seelen] in den Himmel, die Hölle und das Fegefeuer steckst, zerstörst du die Argumente, mit denen Christus und Paulus die Auferstehung beweisen . . . . Und weiter: Wenn die Seelen im Himmel sind, sag mir, warum sie nicht so gut dran sind wie die Engel? Und welchen Grund gibt es dann für die Auferstehung?“ (An Answer to Sir Thomas Mores Dialogue, Buch 4, Kapitel 4).

In derselben Antwort geißelte Tyndale die römisch-katholische Position in dieser Angelegenheit als heidnische Lehre und erklärte: „Der wahre Glaube offenbart die Auferstehung . . . . Die heidnischen Philosophen, die das leugnen, behaupten, dass die Seelen ewig leben [als Unsterbliche]. Und der Papst verbindet die geistliche Lehre Christi und die fleischliche Lehre der Philosophen miteinander; Dinge, die so gegensätzlich sind, dass sie nicht übereinstimmen können, ebenso wenig wie der Geist und das Fleisch in einem Christenmenschen. Und weil der fleischlich gesinnte Papst der heidnischen Lehre zustimmt, darum verdirbt er die Schrift, um die heidnische Lehre zu etablieren.“

An anderer Stelle seiner Antwort stellt Tyndale fest, dass die Vorstellung von den gläubigen Toten bei Bewusstsein im Himmel im Widerspruch zur Lehre Christi steht. Er erklärt: „Und wenn er [Thomas More] beweist, dass die Heiligen bereits mit Christus in der Herrlichkeit im Himmel sind, indem er sagt: ,Wenn Gott ihr Gott ist, dann sind sie im Himmel, denn er ist nicht der Gott der Toten‘ [wie More versuchte, aus der Aussage Jesu in Matthäus 22, Verse 31-32 zu argumentieren]; da stiehlt er das Argument Christi, mit dem er die Auferstehung beweist: dass Abraham und alle Heiligen auferstehen sollten, nicht dass ihre Seelen im Himmel waren. Und mit dieser Lehre macht er die Auferstehung zunichte und das Argument Christi wirkungslos.“

Darüber hinaus bezieht sich Tyndale immer wieder auf die Aussage des Apostels Paulus, dass Christen höchst bedauernswert bzw. elend wären, wenn es keine Auferstehung gäbe: „Denn wenn die Toten nicht auferstehen, so ist Christus auch nicht auferstanden. Ist Christus aber nicht auferstanden, so ist euer Glaube nichtig, so seid ihr noch in euren Sünden; so sind auch die, die in Christus entschlafen sind, verloren. Hoffen wir allein in diesem Leben auf Christus, so sind wir die elendesten unter allen Menschen“ (1. Korinther 15,16-19).

Tyndale erwähnt auch die Anweisung des Apostels Paulus an die Christen in Thessaloniki, wonach sie einander beim Verlust von Angehörigen mit der Hoffnung auf die Auferstehung bei der Wiederkunft Christi trösten sollen:

„Wir wollen euch aber, liebe Brüder, nicht im Ungewissen lassen über die, die entschlafen sind, damit ihr nicht traurig seid wie die andern, die keine Hoffnung haben. Denn wenn wir glauben, dass Jesus gestorben und auferstanden ist, so wird Gott auch die, die entschlafen sind, durch Jesus mit ihm einherführen. Denn das sagen wir euch mit einem Wort des Herrn, dass wir, die wir leben und übrig bleiben bis zur Ankunft des Herrn, denen nicht zuvorkommen werden, die entschlafen sind. Denn er selbst, der Herr, wird, wenn der Befehl ertönt, wenn die Stimme des Erzengels und die Posaune Gottes erschallen, herabkommen vom Himmel, und zuerst werden die Toten, die in Christus gestorben sind, auferstehen . . . . So tröstet euch mit diesen Worten untereinander“ (1. Thessalonicher 4,13-16. 18).

Diese Anweisung würde keinen Sinn machen, wenn diese geliebten Menschen jetzt im Himmel leben würden. Tyndale drückt es sarkastisch wie folgt aus:

„Nein, Paulus, du bist ungelehrt; geh zu Meister [Thomas] More und lerne einen neuen Weg. Wir sind nicht unglücklich, obwohl wir nicht auferstehen; denn unsere Seelen gehen in den Himmel, sobald wir tot sind, und erleben dort ebenso große Freude wie der auferstandene Christus. Und ich wundere mich, warum Paulus die Thessalonicher nicht mit dieser Lehre getröstet hat, wenn er gewusst hat, dass die Seelen ihrer Toten Freude hatten. Warum lehrte er, dass ihre Toten auferstehen sollten? Wenn die Seelen nach eurer Lehre im Himmel in so großer Herrlichkeit wie die Engel sind, so zeigt mir, was die Gründe für die Auferstehung sein sollen.“

Wir teilen die Auffassung von Luther und Tyndale, dass die Bibel den Tod als bewusstlosen Zustand darstellt. Während viele andere Lutheraner dies erkannten, hielt und hält die Reformation als Ganzes an falschen Lehren über die unsterbliche Seele im Himmel oder in der Hölle fest, wohingegen die Wahrheit der Heiligen Schrift über den Zustand der Toten bestehen bleibt. Wieso sollten wir nicht akzeptieren, was Gottes Wort über diese wichtige Frage offenbart?

– Gute Nachrichten Januar-Februar 2022 PDF-Datei dieser Ausgabe

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