Michael Medved zum Thema
Medien und die Familie

Michael Medved zum Thema Medien und die Familie © Vidmir Raic/Pixabay
Vor zehn Jahren traf Michael Medved, ehemaliger Filmkritiker des Nachrichtensenders CNN, einen empfindlichen Nerv in den USA und auch in Europa mit seinem Buch "Hollywood vs. America".

Von Jerold Aust

Gute Nachrichten: In Ihrem Bestseller von 1992, Hollywood vs. America, analysierten Sie, wie wenig Filmproduzenten mit den Wünschen und Bedürfnissen der amerikanischen Öffentlichkeit in bezug auf Filme als Unterhaltung vertraut sind.

Ihr Buch basierte auf den vorliegenden Statistiken der späten 1980er und ’90er. Wie sieht es heute aus mit der Unkenntnis Hollywoods darüber – ob bewußt oder unbewußt –, was die Öffentlichkeit in Filmen und im Fernsehen sehen möchte?

Michael Medved: Durch die Veröffentlichung des Buches konnte die Idee, daß die „R“-Einstufung eines Films [„restricted“: Personen unter 17 Jahren haben nur in Begleitung eines Erwachsenen Zutritt] ein Vorteil bei der Vermarktung eines Kinofilms sei, relativiert werden. 1992 bemühten sich die Filmstudios, so viele „R“ eingestufte Filme wie möglich herauszubringen. Zum großen Teil wollten die Direktoren und Produzenten selbst solche Filme machen. Allerdings gab es auch die idiotische Meinung, daß sehr viel mehr Leute „R“ eingestufte Filme sehen würden als familienfreundlich eingestufte Filme. In dem Buch habe ich sehr viel Zeit darauf verwendet, diese Idee zu entkräften und richtigzustellen.

Es gab eine Reihe von Studien, die Untersuchungen bestätigten, daß die Einstufung „R“ in Wirklichkeit ein kommerzieller Nachteil ist. Das Ergebnis dieser Studien führte zu einer Entwertung dieser Einstufung und einen höheren Anteil an „PG“ [zugänglich für alle, jedoch wird bei Kindern die Begleitung Erwachsener empfohlen] und „PG-13“ [Kinder unter dreizehn Jahren haben nur in Begleitung von Erwachsenen Zutritt] Filmen. Es ist sogar üblich geworden – und das hat es nie zuvor gegeben –, daß Filmemacher in ihrem Vertrag die Klausel unterschreiben müssen, eine „R“ Einstufung in ihren Filmen zu vermeiden.

Es sind also gute Nachrichten, daß die Menschen sich nicht wirklich nach einer rüden Sprache, explizitem Sex und brutaler Gewalt sehnen. Einer der größten Überraschungshits des Sommers 2001 war ein „G“ eingestufter Film [zugänglich für alle]. The Princess Diary [„Plötzlich Prinzessin“] ist einer der erfolgreichsten „G“ eingestuften Filme, die je gedreht wurden. Er wurde von Garry Marshall, dem Produzenten von Pretty Woman und Runaway Bride [„Die Braut, die sich nicht traut“] gedreht.

In den letzten Jahren haben viele berühmte Filmdirektoren familienfreundliche Filme herausgebracht – Direktoren, die für ganz andere Filme bekannt waren. David Mamet zum Beispiel, ein Filmautor und -produzent, der sich mit seinem üblen Sprachgebrauch einen Namen gemacht hat, veröffentlichte einen hervorragenden als „G“ eingestuften Film mit dem Titel The Winslow Boy – einer der besten Filme in den letzten Jahren.

GN: Die Filmemacher können also auch gewaltfreie Filme herausbringen?

MM: Ja, sie können es. Allerdings gibt es auch eine Schattenseite. Im gewissen Umfang sind die Einstufungen lascher geworden. Mit anderen Worten, Filme die heute als „PG-13“ eingestuft werden, wären vor zehn Jahren ganz bestimmt als „R“ eingestuft worden. Ein Film, der mich besonders empörte, war der als „PG-13“ eingestufte Film mit dem Titel Crazy Beautiful. Dieser Film enthält expliziten Sex und den Alkoholmißbrauch eines 17jährigen, und er hätte niemals, niemals als „PG-13“ eingestuft werden sollen.

GN: In Ihrem Buch Hollywood vs. America meinten Sie, daß Filmproduzenten die Religion angriffen, die Einrichtung der Familie beleidigten und Abscheulichkeiten verherrlichten. Ist dieser Zustand Ihrer Meinung nach heute schlimmer oder besser geworden?

MM: Das läßt sich nicht so leicht beurteilen. Amerika ist ein komplexes Land und die Filmindustrie ist ein komplexes Geschäft. Es gibt Aspekte der Unterhaltungsindustrie, die schlimmer sind als je zuvor. Denken Sie an die Musikindustrie! Die amerikanische Popmusik ist noch nie so häßlich gewesen, so profan, so herabsetzend, so grenzenlos ungezügelt, so bereitwillig, Diebstahl und Vergewaltigung zu verherrlichen. Die amerikanische Popmusik und Musikvideoindustrie befinden sich in einem schrecklichen Zustand. Zugleich sind die Darstellungen des Fernsehens in Sachen Sex sehr freizügig geworden – viel intensivere, schärfere sexuelle Bilder und viele homosexuelle Beiträge werden gezeigt. Gleichzeitig nahmen die Gewaltdarstellungen aber ab.

GN: Wie sieht es aus mit der Häufigkeit und dem Ausdruck von Gewalt- und Sexdarstellungen in Filmen, verglichen mit dem, was Sie 1992 beobachtet haben und was wir heute in den Kinos und im Fernsehen beobachten können? Gibt es eine Methode, die dieses bewertet?

MM: Es gibt Leute, die dieses nach der Quantität bewerten. Man läßt dafür Studenten eine Woche lang fernsehen. Es gibt also keine Zweifel darüber. Wenn sie sich die beliebtesten Fernsehshows ansehen, gibt es zur Zeit keine Show, die sich durch brutale Gewalt auszeichnet. Es gibt aber viele „Schmuddel“-Shows, die man im Kabelfernsehen sehen kann. Die Sache ist also kompliziert.

Es ist ganz offensichtlich, daß Gewalt in bezug auf Kinofilme weniger betont wird. Vor zehn Jahren noch gab es diese Filme mit den Killermaschinen – Filme, wo es darum ging, die Massen abzuschlachten. Solche Filme sind heute seltener geworden. Das bedeutet aber nicht, daß das Filmgeschäft eine Art Renaissance durchlebt. Niemand kann die schlechte Qualität der heutigen Filme bejubeln.

Es gibt aber auch die beachtenswerten Ausnahmen. Eine dieser Ausnahmen war der Prinz von Ägypten, ein Zeichentrickfilm, der die Geschichte Moses erzählt. Zum ersten Mal bemühte sich ein großes Filmstudio, Gläubigen vieler Religionen entgegenzukommen.

Man versuchte die biblische Erzählung so genau wie möglich wiederzugeben und bemühte sich darum, keine Religion zu beleidigen. Zur selben Zeit wurde aber auch ein visuell spektakulärer Unterhaltungsfilm gemacht, der sehr erfolgreich war. Jeffrey Katzenberg von Dream Works Studio hatte sich mit Hunderten von religiösen Führern getroffen, Leute wie Jim Dobson [von Focus on the Family], um sie nach ihrem Rat und Beistand zu fragen.

GN: Sie haben zusammen mit Ihrer Frau, Dr. Diane Medved, ein Buch geschrieben mit dem Titel Saving Childhood: Protecting Our Children From the National Assault on Innocence [„Rettung der Kindheit: Schutz unserer Kinder vor dem nationalen Angriff auf die Unschuld“]. Welche Rolle spielen die Medien bei dem Angriff auf die Unschuld unserer Kinder?

MM: Das Buch ist in drei Teile aufgeteilt. Im ersten Teil geht es um den Angriff, im zweiten um die Verteidigung. Wenn wir über den Angriff auf die Unschuld der Kindheit sprechen, meinen wir den Angriff, der auf unsere Kinder aus vier Richtungen auf einmal einstürmt.

Zuerst einmal sind da die Medien, die einen riesigen Teil des Alltags beherrschen. Zweitens sind es die Schulen. Das Schulsystem hat kaum noch Respekt vor der Kindheit, flößt den Kindern häufig Angst ein und greift ihre Unschuld an.

Der dritte Faktor ist der Gruppendruck Gleichaltriger. Der vierte sind die Eltern, die oft selbst eine Rolle dabei spielen, ihre eigenen Kinder zu verderben. Meiner Meinung nach ist die Lösung nicht darin zu sehen, ein besseres Fernsehprogramm zu schaffen, sondern weniger fernzusehen. Dies gilt sowohl für Erwachsene als auch für Kinder.

Ich habe den Zuschauern meiner landesweit ausgestrahlten Fernsehsendung immer wieder gesagt, daß das wirkliche Problem nicht die geringe Qualität der Medien ist. Es ist die hohe Quantität der Medien. Selbst wenn die Qualität verbessert würde, wäre es für uns und unsere Kinder katastrophal, so viele Stunden fernzusehen. Im amerikanischen Haushalt wird durchschnittlich bis zu 50 Stunden in der Woche ferngesehen.

Kinder sehen zu viel Fernsehen. Die Eltern sehen zu viel Fernsehen. Die Fernsehsucht ist ein Hauptfaktor für den Zusammenbruch der Ehen, weil Ehepaare sich nicht mehr die Zeit nehmen, miteinander zu reden. Sie verbringen sehr viel Zeit damit, auf die flimmernden Bilder des Fernsehkastens zu starren. Das trägt aber überhaupt nicht dazu bei, die eigene Ehe zu bereichern oder die Kommunikation zu verbessern.

GN: Kann das Fernsehen auch unsere Ansichten über moralische Werte, die uns in unserer Kindheit beigebracht wurden, verändern?

MM: Darüber gibt es überhaupt keinen Zweifel. Aber der Punkt, den ich in meinem Buch Hollywood vs. America betone, und den ich in all meinen Werken betone, ist der, daß die wirkliche Macht des Fernsehens, der Kinofilme und der Popmusik nicht darin liegt, daß jemand eine Filmfigur beobachtet und dann losläuft, um sofort das gleiche Verhalten an den Tag zu legen. Es kann natürlich geschehen, aber das ist eher die Ausnahme. Was aber auf alle zutrifft, ist, daß wir den Massenmedien erlauben, abscheuliches und unakzeptables Verhalten zu normalisieren.

Das ist z. B. bei dem Umgangston der Fall. Ich glaube nicht, daß es für jemanden, der diesem Thema einfühlsam gegenübersteht, irgendeinen Zweifel daran gibt, daß ein Verfall der Sprache stattfindet, durch den moralische Schranken niedergerissen werden. Noch vor wenigen Jahren hätte die Öffentlichkeit die Sprache, die heute von vielen durch alle Gesellschaftsschichten hinweg benutzt wird, nicht hingenommen. Es ist keine Frage, daß die Massenmedien zu diesem Trend geführt haben. Sie sind ihm nicht einfach nur gefolgt, sondern sie haben ihn aktiv mitgestaltet.

GN: Gibt es noch andere Beispiele für den Einfluß der Medien?

MM: Ja, ein weiteres Beispiel ist die Homosexualität. Die Untersuchungen belegen, daß ein homosexuelles Verhalten sehr, sehr selten vorkommt. Es sind keine zehn Prozent der Bevölkerung, nicht einmal fünf Prozent, die homosexuell sind.

GN: Wird diese Minderheit aber nicht aktiv in den Vordergrund gedrängt?

MM: Im Fernsehen und im Kino wird sie stark hervorgehoben. Ich konnte folgendes kaum glauben. Die Organisation The Lambada Gay and Lesbian Education Fund hat eine Studie herausgegeben, die zeigte, daß Homosexualtät in Amerika in den letzten Jahren enorm zugenommen hat, und niemand weiß warum – man geht doch davon aus, daß man homosexuell geboren ist und nichts dafür kann. Warum nimmt die Homosexualität also drastisch zu? Die Sprecher dieser Organisationen meinen, daß dies auf den Einfluß der Medien zurückgeht. Sie sagen, daß das „normale“ Auftreten Homosexueller in den Massenmedien es leichter für Leute gemacht hat, ihre Homosexualität auszudrücken.

GN: Ist das nicht ein Beweis dafür, wie leicht wir uns beeinflussen lassen?

MM: Ja, natürlich! Wenn die Stars dieser Welt ein bestimmtes Verhalten vorleben, ob es nun Gewalt ist oder häufige Affären, Homosexualität, ein rüder Sprachgebrauch oder was auch immer, wird damit die Akzeptanz dieses Benehmens gefördert, was mehr und mehr zur Nachahmung anregt.

Das ist auch die Idee, die hinter der Werbung steht. Darum läßt man bekannte Sportler und Filmstars in der Werbung auftreten. Wenn man sich mit diesen Leuten identifiziert, wird man das Benehmen, das man sieht, auch nachahmen. Auch die Unterhaltungsindustrie funktioniert so. Wir imitieren, was wir sehen, sehr zu unserem eigenen Schaden.

Wer ist Michael Medved?

Michael Medved ist ein Bestsellerautor und Filmkritiker, dessen Rundfunksendung in mehr als 140 Städten in den USA zu hören ist. Täglich wird drei Stunden lang über, wie er es nennt, „die energiespendende Kombination von Politik und Popkultur“ berichtet.

Als Absolvent der Yale University besuchte er die Yale Law School, bis ihn sein Interesse an der Filmindustrie dazu veranlaßte, mehrere Bücher der Filmkritik zu schreiben. Daraufhin wurde er zum ersten Filmkritiker des Nachrichtensenders CNN.

Herr Medved ist Mitglied des Autorenvorstandes der Zeitung US Today und hat acht Sachbücher geschrieben, darunter den Bestseller Hollywood vs. America. Er lebt mit seiner Frau, einer Psychologin, und ihren drei Kindern in der Gegend von Seattle.

– Gute Nachrichten Mai-Juni 2002 PDF-Datei dieser Ausgabe

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